Neuromarketing im Lebensmitteleinzelhandel

Abb. 1: Versuchsaufbau am Point-of-Sale der „Tiroler Radieschen“

In den letzten Jahren zeigten die Methoden der Hirnforschung, dass die menschlichen Kognitionen sowie Emotionen eng miteinander verbunden und daher gemeinsam zu betrachten sind. In diesem Zusammenhang wurde u.a. in unterschiedlichen Forschungsarbeiten die Wirkung von Emotionen im Gehirn des Konsumenten bei der Wahrnehmung von Markenartikeln untersucht [1]. Forschungsarbeiten zu der Übertragung von Erkenntnissen der Hirnforschung auf sogenannte Gattungsmarken lassen sich dagegen in der Marketingforschung kaum bis gar nicht finden. Hier setzt ein Forschungsprojekt von Prof. Dr. Marcus Stumpf von der FOM Hochschule für Oekonomie und Management in Frankfurt am Main an, indem er am Beispiel des Sortimentsmana-gements von Obst und Gemüse die Forschungsfrage beantwortet, ob sich die bisher für Markenartikel vorliegenden Forschungsergebnisse des Neuromarketing für Gattungsmarken bestätigen. Auf Grundlagen von verhaltensbasiertem Datenmaterial wurden Hypothesen hinsichtlich „gesetzter Stimulus – beobachteter Response“ getestet. Das sog. Limbic®-Modell [2] diente dabei als „Leitidee“ für das Vorgehen und wurde zur Interpretation der Ergebnisse hinsichtlich neurobiologischem bzw. neuropsychologischem Hintergrund herangezogen.

Eine zunehmende Flut an immer ähnlicher werdenden Produkten, Sortimenten oder Dienstleistungen drängt zusehends auf den Markt. Im Detailhandel macht es schon längst keinen Unterschied mehr, ob ein preissensibler Kunde seine Produkte von „Ja!“ und „Gut und günstig  bezieht, oder direkt bei den Discountern Aldi und Lidl einkauft. Die Marktleistungen bieten nach rationalen Kriterien einen weitestgehend homogenen Nutzen. Dennoch wird das Kaufverhalten der Konsumenten von kognitiv bewussten und unbewussten Entscheidungsregeln maßgeblich beeinflusst. Das Wissen über Bedürfnisse, Wahrnehmungen und Emotionen des Kunden in einer solchen Situation ist zwar eingehend untersucht, konnte aber bislang nie in der direkten Kaufsituation gemessen werden. Dieses Defizit beheben neurowissenschaftliche Methoden, die  Emotionen als zentralen Motor der Kaufentscheidung identifiziert haben.

Das Gehirn – ein Blick hinter die Kulissen
Die traditionelle Hemisphärentheorie, welche das Gehirn in zwei unabhängige Gehirnhälften mit unterschiedlichen Aufgaben einteilt, scheint anhand der aktuellen neurowissenschaftlichen Erkenntnisse nicht mehr tragbar zu sein. Forschungen in der Neurowissenschaft zeigen, dass nicht nur – wie bislang angenommen – die rechte Hemisphäre, sondern das gesamte menschliche Gehirn mehr oder weniger emotional ausgerichtet ist. Die am stärksten ausgeprägte Konzentration an Emotionen befindet sich im Limbischen System. In diesem Gehirnareal erfolgt eine weitestgehend unbewusste, automatische Filterung und Ordnung der von einer Marktleistung ausgehenden Stimuli. Diese werden anschließend emotional bewertet und generieren damit ein bestimmtes Werteprofil. Welche Emotionen genau den Kunden zu bestimmten Kaufverhaltensweisen antreiben, lassen sich den Untersuchungen der Gruppe Nymphenburg und der von ihr entwickelten Limbic Map® entnehmen.

Innovative Untersuchungsverfahren der Neurowissenschaften machen sichtbar, ob eine von den Marketingstimuli ausgehende Aktivierung erfolgt ist und welche Gehirnareale dabei an-gesprochen wurden. Allen voran über die Technologie der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT) lässt sich die Aktivierung im Gehirn bildlich darstellen. Entsprechende Hirnareale „leuchten“ auf und zeigen, ob und in welcher Intensität die Aktivierung durch entsprechende Marketingstimuli erfolgt ist. Somit kann die bisherige Vermutung, dass Emotionen einen entscheidenden Einfluss auf das Kaufverhalten haben, erstmals auch wissenschaftlich belegt werden.

Emotionen als Motor der Kaufentscheidung
Basierend auf diesen Erkenntnissen, stellen Emotionen ein zentrales – wenn nicht sogar das zentralste – Element bei der Produktbewertung und Entscheidungsfindung dar. Diese Erkenntnisse bringen das bisherige Theoriekonzept des „Homo oeconomicus“ vermehrt ins Wanken. Der Konsument trifft seine Kaufentscheidung nicht ausschließlich nach rationalen Kriterien, sondern wird durch eine nicht unerhebliche, emotionale Komponente beeinflusst. Emotionen dominieren somit nicht nur Aktivitäten des Gehirns, sondern gelten auch als Machtzentrum des Kaufverhaltens. Es bedarf einer emotionalen Aufladung von Produkten und Dienstleistungen, damit diese für das menschliche Gehirn überhaupt attraktiv werden. Produkten und Dienstleistungen, die keine Emotionen auslösen, sind hingegen für das menschliche Gehirn wertlos und beeinflussen somit negativ die Kaufentscheidung. 

„Smileys“ lösen im Feldversuch Emotionen auslösen
Um diese bei Markenartikeln bereits verifizierten Behauptung auch bei Gattungsmarken zu untermauern, wurden im Zuge eines Forschungsprojektes von Prof. Dr. Marcus Stumpf in einem österreichischen INTERSPAR-Markt für eine Woche im Obst- und Gemüse-Bereich an einer Stelle Veränderungen auf Grundlage der Erkenntnisse des Neuromarketing durchgeführt [3].
Die Aufgabe bestand dabei darin, die Verkaufssituation von Radieschen derart zu verändern, dass diesen Produkten vermehrt Werte wie Spaß, Neugier, Fantasie oder Offenheit zugeordnet werden, um so – vor dem Hintergrund des Limbic®-Modells – bei den Konsumenten das Motiv der „Stimulanz“ zu aktivieren. Hierfür stand am Point-of-Sale die Modifizierung des Regalschildes zur Verfügung. Aufgrund der kleinen Präsentationsfläche auf diesen Regal-schildern wurde der Einsatz des Bedeutungsträgers „Symbol“ gewählt. Ein starkes positives Symbol ist ein lachendes Gesicht. Um die Gefahr der Missinterpretation (Hautfarbe, Ge-schlecht usw.) zu vermeiden, war ein neutrales Gesicht auszuwählen. Dieses Gesicht wurde im Symbol des „Smileys“ gefunden, das im Versuchszeitraum auf die Regalschilder am Point-of-Sale der Radieschen angebracht wurde (siehe Abbildung 1).

Aus neuropsychologischer Sicht sollte mit der Verwendung des Smileys auf dem Regalschild der Radieschen der Nucleus Accumbens angesprochen werden. Dieser Bereich ist aktiv, wenn eine emotionale Belohnung erwartet wird. Zudem wird eine Wirkung des Smileys ver-gleichbar mit der Darstellung eines Rabattes und damit eine Hemmung der für die Kaufzurückhaltung zuständigen Region des Anteriores Cingulum vermutet [4]. Die gewählte Maßnahme folgte damit der Arbeitsweise des menschlichen Gehirns, dass mit einer Vergrößerung der Belohnungserwartung bzw. mit einer Verringerung der Bestrafungsbefürchtung die entsprechenden Konsumenten zum Kauf bewegt werden.

Ergebnisse des Feldversuches
Der Versuch führte direkt zu greifbaren Ergebnissen. Die Veränderung des Preisschildes der Radieschen hatte überdurchschnittliche Absatzzahlen beim Testprodukt zur Folge: Bei den Radieschen zeigt sich in den gewichteten Wochenmengen, dass sich der Testmarkt und der Umsatz der Radieschen sich gegenüber den 51 Referenzmärkten elf Prozent besser entwickelte. Da die einzige offensichtliche Änderung im Testmarkt die Veränderung des Preisschildes mit zwei kleinen „Smileys“ war, kann davon ausgegangen werden, dass diese Maßnahme entscheidend zu diesem Erfolg beigetragen hat.
Weiterführende Forschungsarbeiten haben nun in der Zukunft u.a. die Frage zu beantworten, ob die Interpretation der hier vorliegenden Ergebnisse hinsichtlich neurobiologischem bzw. neuropsychologischem Hintergrund durch entsprechendes physiologisches Datenmaterial neurowissenschaftlich fundiert werden kann.

Alles Emotionen oder was?
Dieser Feldversuch zeigt damit im kleinen, dass Emotionen der „Schlüssel zum Kunden“ sind, zu seinem Goodwill und seinem Verhalten im Kaufprozess. Das Paradigma des Homo oeconomicus, der sein Kaufverhalten bewusst nach ökonomischen Gesichtspunkten steuert, ist in dieser Entschiedenheit nicht länger tragbar. Entscheidungsregeln im Kaufprozess folgen zu großen Teilen intuitiven und impliziten Regeln, welche maßgeblich durch emotionale Stellgrößen wie Gruppenzugehörigkeit, Sympathie und Vertrauen determiniert werden.

Sind Emotionen somit die neue Allzweckwaffe im Kampf um den Kunden? Bei aller Euphorie über die aktuellen Erkenntnisse der Neurowissenschaften ist kein Automatismus abzuleiten, wonach die Generierung von Emotionen stets erfolgreiche Vermarktungsstrategien hervor-bringt. Im Zeitalter einer beinahe unüberschaubaren Angebots- und Anbietervielfalt müssen auch Emotionen wohldosiert eingesetzt werden, damit eine emotionale Überreizung verhindert wird. Diese würde den Kunden womöglich verwirren und in seinem Entscheidungsprozess negativ beeinflussen. Es ist daher zu empfehlen, stabile emotional aufgeladene Wett-bewerbsvorteile aufzubauen und diese durch identitätskonforme Stimuli zu verteidigen.

Merkpunkte:

  • Die zwei Hirnsysteme des Menschen: Entscheidungsregeln im Kaufprozess folgen zu großen Teilen intuitiven und impliziten Regeln. Der implizite Autopilot ist verantwortlich für die automatisch ablaufenden Hirnvorgänge.
  • Die Bedeutung des Unbewussten: Ein Großteil der entscheidungsrelevanten Prozesse finden unbewusst statt. Das Paradigma des Homo oeconomicus, der sein Kaufverhalten bewusst nach ökonomischen Gesichtspunkten steuert, ist in dieser Entschiedenheit nicht länger tragbar.
  • Die Bedeutung der Emotionen: Keine (Kauf-) Entscheidung ohne Emotionen. 


Literaturverweise
[1] Vgl. bspw. Traindl, Arndt (2007): Neuromarketing, 3. Aufl., Linz.
[2] Vgl. Häusel, Hans-Georg (2008): Brain view, 2. Aufl., Planegg/München, S. 44ff.
[3] Vgl. Stumpf, M./Hix, St. (2010): Erkenntnisse des Neuromarketing für das Sortimentsmanagement im Lebensmitteleinzelhandel – Aufbau, Durchführung und Auswertung eines Feldversuches sowie Ableitung von Handlungsempfehlungen, in: der markt, International Journal of Marketing, 49. Jg., Nr. 3/4, S. 171-183.
[4] Vgl. zu Studien zur Wirkung von Rabattsymbolen bspw. Weber, Bernd/Neuhaus, Carolin (2008): Preise im Kopf. In: Häusel, Hans-Georg (Hrsg.) (2008): Neuromarketing, Planegg/München, S. 32-47.